Indian Roadmaster 2017
Indian Roadmaster 2017

Indian Roadmaster 2017

Vor rund dreieinhalb Jahren durften wir den Häuptling testen, aber immer noch beeindruckt mich dieser Straßenkreuzer. Ein Rückblick …

Meine Fresse, was für ein Trümmer! Ich stehe gerade vor dem Arbeitsgerät für die nächsten zwei Wochen und bin ein bisschen beeindruckt. Wer noch nie Kontakt mit so einem Straßenkreuzer hatte, dem wird sicherlich etwas mulmig zumute. Ich bin da, auf Grund meines Berufes, schon etwas abgehärtet, aber nichts desto weniger beeindruckt mich der Riesenkasten, jedes andere Motorrad wirkt dagegen etwas pupsig, eine große Harley vielleicht mal ausgenommen. Nicht nur die schiere Größe, auch das Gewicht von vollgetankt über 400kg, tragen zu dem Respekt bei. Davon entfallen gut und gerne mindestens 5kg auf den monströsen Kofferraumdeckel mit Beleuchtung, wenn das mal reicht… Aber auch sonst scheint man bei Polaris das Wort Leichtbau komplett aus dem Lastenheft gestrichen zu haben. An Chrom und Eisen wird hier jedenfalls nicht gespart. Massiv und wertig wirkt der Luxusdampfer, von der ersten bis zur letzten Schraube. Kleinigkeiten, wie das Firmenlogo auf Scharnieren und Nieten, der leuchtende Indianer auf dem ausladenden Kotflügel oder auch das fein verarbeitete Leder, welches einen doch tatsächlich an einen echten Sattel erinnert – alles wirkt stimmig! Nun aber genug mit dem Vorspiel, jetzt geht’s in die Vollen. Also rauf auf den Sattel und den Startknopf gedrückt. Keyless, versteht sich. Man gibt sich zwar „barock“ aber neueste Technik wird selbstverständlich verbaut, inklusive Can-Bus und Zentralverriegelung. Das Ride Command System erwacht zum Leben, ein riesiger Bildschirm nimmt die zentrale Position vor mir ein, gut ablesbar und mit Handschuhen völlig problemlos bedienbar und sauschnell, aber dazu später mehr.

Auch hier wird der „Retrostyle“, so gut es eben geht, umgesetzt, die Kommandozentrale ähnelt mit ihren großen Knöpfen eher einer alten Espressomaschine aus den 50gern, als einem modernen Computer. Chapeau – sehr schön gemacht! Die Armaturen an den Lenkerenden wirken massiv und wie aus einem Guss, sind beleuchtet und leicht bedienbar, wenngleich die einzelnen Schalter teils etwas weit auseinander liegen. Dafür drücke ich aber auch niemals zwei gleichzeitig mit meinen dicken Wurstfingern, also auch hier alles richtig gemacht. Der große Häuptling erwacht zum Leben, als ich den Anlasser betätige, sanft und mächtig zugleich pulsiert der THUNDER STROKE 111 Motor (1811ccm) zwischen meinen Beinen. Mit untenliegenden Nockenwellen, Stoßstangen, Zweiventiltechnik erinnert der Motor optisch an längst vergangene Zeiten. Hier kommt der Hubraum noch von Hub! Demzufolge würden eigentlich drei Gänge ausreichen, im Tourbetrieb sind das der fünfte oder sechste Gang, dazu noch einer zum anfahren – fertig ist der Lack. Gelegentlich kann man die gut abgestimmte und sauber schaltende Getriebebox doch einmal in Anspruch nehmen, um die Kolonne hinterm Trecker zügig hinter sich zu lassen.

Ist das Rollsofa mit Musik erst einmal in Bewegung, erstaunt mich dann aber doch die gewisse Leichtigkeit, mit der sich der Trümmer bewegen lässt. Natürlich darf man das jetzt nicht allzu wörtlich nehmen, aus einem Elefanten wird ja auch mit Trainingsanzug kein Sportler, aber immerhin lässt sich der Indianer erstaunlich einfach bewegen. So souverän und genussvoll bin ich bisher noch nicht unterwegs gewesen. Genussvoll ist dann auch das richtige Wort für die Fortbewegung auf der Roadmaster – der Name ist quasi Programm. Jedweder Untergrund wird glattgebügelt – 119mm Federweg vorne und 114mm hinten, pneumatisch verstellbar, sorgen für entspanntes dahingleiten, sogar auf Schotterstraßen.


Man glaubt es kaum, aber das Wohnzimmer geht sogar vernünftig ums Eck, bis einem die Trittbretter auf den Boden der Tatsachen zurück holen. Das ist wahrscheinlich auch gut so, denn irgendwann sind sicherlich die Haftgrenzen der Reifen erreicht, mehr Schräglage wäre aber auf jeden Fall drin, das Fahrwerk machts klaglos mit.
Grund für den Test der Roadmaster ist unsere Meck-Pomm Tour, die ich – wie immer – mit der besten Ehefrau der Welt absolviere. Und da Mann zwar mit ein paar Wechselschlüppern und einem T-Shirt wochenlang unterwegs sein kann, Frau aber das gar nicht gut findet, muss natürlich Stauraum her. Davon hat der Häuptling reichlich, mehr als manch Kleinwagen. Über 140 Liter um genau zu sein. Da lässt sich so einiges unterbringen…. wem das immer noch nicht reicht, der schnallt sich halt eine Gepäckrolle auf den Träger am Topcase. Die gute Nachricht: auch mit Beladung ändert sich das Fahrverhalten so gut wie gar nicht. Die schlechte: man vergisst (Gott sei Dank) das man schnell mal mit über einer halben Tonne Gesamtgewicht unterwegs ist… Die Bremsen sind ausreichend dimensioniert und bringen die Fuhre jederzeit sicher zum stehen. Man kann beherzt in die Anker greifen – keine Sorge – die Indian bringt nichts aus der Ruhe! Voll beladen bis in den Regelbereich des ABS hinein, die Reifen sind da echt an der Kotzgrenze, kann man den Dampfer vehement verzögern. Auch die Fußbremse, bei herkömmlichen Motorrädern fristet die ja eher ein Schattendasein, verdient ihre Bezeichnung und verzögert hervorragend und gut dosierbar. Das Mann und Frau bei der Tour gut geschützt vor Wind, Wetter und Flugopfern sind, dafür sorgen mächtige Beinschilde und die elektrisch verstellbare Scheibe. Je nach belieben sorgt sie für Frischluft oder halt nicht. Eine zweistufige Sitzheizung für jeden Passgier, sowie beheizte Griffe machen auch einstellige Temperaturen durchaus erträglich.

Ein Fernsehsessel könnte nicht bequemer sein!

Selbst in strömenden Regen braucht es vorerst keine Regenkombi, man bleibt sehr lange recht trocken. Erst wenn das Wasser auf der Straße zu hoch steht bekommt man irgendwann nasse Füße – komischerweise zumindest der Beifahrer. Bei sommerlichen Temperaturen sollte man sich allerdings tunlichst in Bewegung befinden. Verkehrsansammlungen mit Schrittgeschwindigkeit führen schnell dazu, dass sich das rechte Gehwerkzeug des Fahrers schnell wie eine Bratwurst auf dem Grill anfühlt. Vorbeischlängeln? Fehlanzeige – der dicke Kasten verbietet so etwas quasi von selbst. Allerdings sind Großstädte eh nicht das natürliche Umfeld eines Häuptlings. Der fühlt sich in der Prärie erst so richtig wohl. Allerdings sollte man auch hier aufpassen, in welche Richtung man parkt. Mal eben gedankenverloren an den Bordstein rollen sollte man sich klemmen, es sei denn hilfreiche Passanten (oder sie beste Ehefrau der Welt) stehen parat. Rückwärtsgang? Fehlanzeige! Also immer erst überlegen, bevor man das Rollsofa abstellt.

Bevor ich jetzt zum Schluss komme, gilt es noch zwei, drei Worte über das hervorragende RIDE COMMAND SYSTEM zu verlieren. USB und Bluetooth ermöglichen die Verbindung von Telefon oder USB-Stick, Navigation und Infoanzeige suchen seinesgleichen. Verschiedene Parameter, wie Fahrzustände, Musiktitel, Karte, Reifendruck, Reichweite und dergleichen kann man sich in verschiedenen Varianten anzeigen lassen. Das Navi ist schnell (sauschnell) und exakt und bietet die Möglichkeit verschiedene Routen zu wählen. Leider habe ich keine Möglichkeit gefunden, Touren zu überspielen und manchmal schlägt einem der Computer ein Ziel vor (beispielsweise die nächste Tanke bei fast leerem Spritfass), welches nicht ausgewählt werden kann. Sucht man hingegen selbst nach dem Ziel, funktioniert es hervorragend. Ein Softwareupdate wird da sicherlich Abhilfe schaffen – hoffe ich. Ansonsten beschallt die Audio-Anlage nicht nur den Treiber, sondern auf Wunsch auch noch den ganzen Motorradtreff … und auf einmal ertappt man sich dabei, das sich Countrymusik doch gar nicht so schlecht anhört… wie furchtbar! Gut das sich auf meinem Stick auch noch CCR, ACDC und Depeche Mode befinden. Nein, bitte fragt jetzt besser nicht!

Fazit:
Die häufigste Frage, die ich auf unserer Testfahrt zu hören bekam lautet: Ist das eine echte Indian? Die zweithäufigste Frage: Und wie alt ist das Teil denn? Zwangsläufig kommt man wenn man mit „Ja“ und „ein halbes Jahr“ antwortet, mit allen möglichen Zeitgenossen ins Gespräch. Egal bei welcher Gelegenheit übrigens! Selbst an einer Kreuzung wird man schon mal von der Seite angequatscht – dessen sollte sich der Indiantreiber durchaus bewusst sein. Abgesehen davon vermittelt das Riesending eine äußerst angenehme Art, sich auf zwei Rädern fortzubewegen. Die Definition von „cruisen“ wird mit der Roadmaster auf den Punkt gebracht. Das Zauberwort heißt eindeutig: Entschleunigung. Sobald man auf der großen Maschine Platz genommen hat, vermittelt sie einem das ganz gewisse Gefühl von Freiheit und Abenteuer. So abgedroschen die Phrase auch ist – besser lässt es sich kaum beschreiben. Genussvoll, elegant und souverän gleitet man mit dem Häuptling durch die Prärie – ganz im Stil des American-Spirit – und vergisst, so ganz nebenbei, jedwede Hektik und den Alltagsstress. Thank you Polaris, für dieses Eisenschwein!

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