Schwanzvergleich mal anders – oder: Ich oute mich!
Als ich 17 oder 18 Jahre alt war drehten sich die Gespräche bei uns um die Zylinderzahl, Hubraum, Fahrwerke und – natürlich – um PS. Höchstgeschwindigkeit war ein ebenso wichtiges Thema, wie Kurvenlage oder Sound. Die typischen Schwanzvergleiche von jugendlichen Stürmern halt, diejenigen, die rebellisch die ganze Welt in Grund und Boden fahren wollten. Einige von denen konnten es auch, echt!
Motorräder waren Fahrmaschinen ohne Schnick und Schnack, sein Bike konnte nur derjenige gut beherrschen, der es auch gut kannte. Zug- und Druckstufe, Ventilspiel, Ölwechsel, Vergasersynchronisierung, Zündkerzenkennung und und und – alles geläufige Begriffe mit denen der größte Teil der Mopedfahrer noch etwas anfangen und sogar anwenden konnte. Wer es nicht konnte, der hat sich mit den alten Hasen in der Werkstatt-Garage getroffen und es gelernt. Danach gabs Bratwurscht, Bier und am Sonntag die Ausfahrt mit den Kisten, die nach der Bastelstunde immer unglaublich besser liefen.
Kein Schwein hat sich dazumal mit mir über ‘ne Griffheizung oder den Verbrauch unterhalten. Wenn eins der Reiteisen leer gefahren war, wurde der Sprithahn fix auf Reserve (Scheiße, beim letzten Mal vergessen zurück zu drehen) gestellt und die nächste Tanke angepeilt. Wir sind halt gefahren, ohne Navi, ohne große Generalstabs Planung, ohne Handy, ohne Wanderschuhe, Haftcreme, beheizten Schlüpperhalter und was weiß ich. Ne Packung Kondome, ein, zwei Schachteln Kippen, ‘n Wechselshirt und Kumpel Jim im Rucksack, fertig. Unser Schwanzvergleich beschränkte sich auf V-Max oder die Anzahl der überholten Dosen, den Reifenverschleiß (was, Du schaffst 3.000 mit dem Hinterreifen?) oder die toten Fliegen zwischen den Zähnen….
Jetzt sitze ich (manchmal, also öfter) mit Typen zusammen, bei denen ich nicht wirklich weiß, was ich sagen soll. Kaum einer von denen kennt noch sein Motorrad wie “damals” (ist halt die neue BMW). Angehalten wird nur noch, wenn der Bordcomputer meckert, dass die Kaffeemaschine noch eingeschaltet ist…. Dafür reißen diese Menschen unglaublich viele Kilometer in ihrem “Urlaub” auf den Kardan. Da kommen so Sprüche wie: ich hab heuer in den Alpen täglich 12 Pässe befahren und 530 Kilometer pro Tag abgespult, war saubequem! Oder: meine Olle hat gar nicht gemeckert, hab die Sitzheizung und die Thermounterwäsche ans Bordnetz gehängt, Helene Fischer aufs Ohr und beim Zwischenstopp gabst einen laktosefreien, veganen, handgeklöppelten Lattefrappuschnatter mit ohne Zucker. Der nächste erzählt – Quatsch – ich hab sogar 650 Kilometer geschafft, ohne anhalten. Die Alte hab ich im Hotel gelassen, sonst hätte ich es nicht geschafft. Hat aber Spaß gemacht, das betonen alle unisono.
Leute, echt jetzt? Typen, die im ganzen Jahr gerade mal 150 Kilometer auf die Uhr bekommen, von der Garage zur Tanke zum Händler (Inspektion muss ja!) und wieder zurück, vielleicht noch zum TÜV (mach ich selber!) und ne Runde zur Eisdiele, die wollen mir erzählen, dass diese Leute in den Alpen 500 Kilometer am Tag abreißen? F-Wort! Ich fahr doch nicht durch die Botanik um möglichst viele (Stammtisch)Kilometer auf den Tacho zu bekommen, ich fahre doch weil ich Spaß daran habe. Und mir kann keiner erzählen, dass es bei diesen (erzählten) Kilometerleistungen überhaupt noch Spaß macht. Vom Realismus derartiger Erzählungen mal ganz zu schweigen. Ich war selbst schon mehrfach in besagten Regionen…. Der Schwanz wird umso länger, je mehr Kilometer im Motorradurlaub abgerissen werden – HILFE!!!
Zeit fürs Outing!
Ja – ich bin ein Genussbiker. Einer der sich auch mal mit ‘ner kleinen, aber feinen Feierabendrunde die Reifenkanten rund fährt, auch wenn die dann “nur” 50, 80 oder 100 Kilometer lang ist. Ich guck wo es mir gefällt, da fahr ich hin. Ohne Navi, allerhöchstens mit nem Zettel in der Brusttasche, wo ein zwei, drei größere Städte drauf stehen. Ich halte an wo es mir gefällt, hau mich auf ‘ne Wiese und genieße den Tag (manchmal mache ich auch ein paar Fotos). Wenn ich Lust hab, dann fahr ich noch ein bisschen weiter und wenn am Abend dann auch mal zwei Tankfüllungen in ein fettes Grinsen umgewandelt wurden, frag ich doch nicht auch noch, was der Kasten verbraucht hat … Ja, ich gebe zu – gegen diese Hypertourenkilometerfresser hab ich einen echt Kurzen, aber mir ist es wirklich scheißegal wie viele Kilometer der Autopilot am Tagesende anzeigt, was für einen sagenhaften Komfort die beheizte, eierwärmende Eierfeile in meine Unterhose pustet und wie viele Wegpunkte mein Navi aufzählen kann. … Hauptsache ich hatte einen geilen Fahrtag!
treffend geschrieben, feiner Humor!
Trotzdem: Einspruch.
Wenigstens teilweise.
Meinereiner hat den Vorteil im Urlaubsgebiet der Flachlandler zu wohnen, nach 30km bin ich in den Bergen des Salzburger und Berchtesgadener Landes.
Viel Gegend also, nicht nur schön sondern auch in drei Dimensionen.
Mit Freunden zum frühstücken auf eine Alm mit anschlie0ender kleiner Runde sind schnell mal 200km, eine Hausrunde mit Benefits könnte man sagen.
Kann durchaus gemütlich sein, die Serpentinen laufen ja nicht weg.
Dann sind da die flotteren Ausflüge mit den gleichfalls flotten Freunden, die auch gruppenkonformes Angasen beherrschen, morgen wirds wieder so eine zügige Ausfahrt, knapp 500km, nur wenige Kilometer Autobahn zur Umfahrung der Stadt. Gibt wunderschöne Strecken Richtung Wildalpen, mit schattigen Biergärten bei den Boxenstops.
Tatsächlich sind wir mit dieser Streckenlänge noch bei den ‘gemäßigten’ Spinnern dabei, ich z.B. bin kein Frühaufsteher und donnere bestimmt nicht gegen 5h früh schon aus dem Dorf, um nach 800km und 15 Stunden später den Nachbarn bitten zu müssen dass er einen vom Moped runterhebt.
Ganz gern bin ich auch mal alleine auf Erkundungstour, mit vielen Fotopausen und kulinarischen Höhepunkten, da bin ich dann auch mal für 250km den ganzen Tag unterwegs.
Ich hab ja Zeit. 😉
Ich bin komplett bei Dir! Wenn man mit Kumpels gesegnet ist, die es verstehen (ich war mal ‘ne Zeit lang mit zwei so “Spezis” unterwegs), dann sind 4 oder 500 Kilometer auch kein Problem…. Allerdings habe ich auch keine “Anfahrt” im eigentlichen Sinn, denn ich wohne quasi mittendrin – im Harz. Nicht ganz Deine tolle Gegend (da sollte ich bei Gelegenheit auch mal wieder hin), immerhin gibt es auch hier ein, zwei Kurven und ein paar Berge (oder eher Hügel?)
Aber dann kommt Dein letzter Satz – und den mag ich genau so unterschreiben!
Mittlerweile handhabe ich es genau so! Es sei denn ich bin als Guide unterwegs, denn da haben die “Rookies” das letzte Wort 😉
den Harz mag ich auch, hab sogar Verwandtschaft in der Nähe.
Oder Thüringen, die Eiffel, Schwarzer u. Bayrischer Wald, Erz- u. Fichtelgebirge, und die österreichischen Mopedgegenden sowieso, nicht nur wg. der Wachauer Federspiel oder dem Poysdorfer Saurüssel 😉
Freud und Leid der Tourguides ^_^
Diese Woche bin ichs dreimal.
btw: Kumpels und Kumpelinen zu haben mit denen man auch 300 Kurven am Stück duchzirkeln kann sind mehr als Gold wert, und wenn danach jeder ohrenlose rundum grinsen kann weiß ich dass wir das richtige Hobby haben.
dLzG
@Hagen:
Du sprichst mir aus der Seele. Ich frage mich jedes Mal, wenn ich bei einem Beitrag lese: Heute wieder so und so viel Kilometer und XY Pässe „gemacht“, was der jenige auf den ganzen gefressenen Kilometern wohl mitgekriegt hat. Hat er den schönen Sonnenuntergang bemerkt, das frisch gemähte Gras gerochen, sich bei der Pause die Sonne in der Nase kitzeln lassen?
Leider bin ich kein so ausgefuchster Technikspezialist wie du, weil ich erst vor ein paar Jahren angefangen habe zu Fahren. Viel mehr als neue Blinker Ranschrauben oder sowas ist bei mir (noch?) nicht drin. ich bin aber interessierter und lernwillige Schüler. 😊
@Gene B.
Ich habe zwar den Schwarzwald als erstklassiges Kurvenrevier fünf Minuten von meiner Garage entfernt, deine und meine Heimat ist aber immer noch mein Sehnsuchtsort.
auf jeden Fall, egal ob ich auf einer dreistündigen Feierabend Tour „nur“ 80 km „schaffe“, weil ich an jeder Ecke stehenbleiben, schauen und fotografieren muss, oder ob ich zusammen mit meinen Kumpels ein paar Hundert Kilometer fahre, im Vordergrund steht dabei, was ich erlebe, nicht wie viele Kilometer es waren. Eigentlich weiß ich nie genau, wie viele es waren, weil es mir ziemlich wurscht ist.
yep,
so seh ich das auch.
Mir sind auch schöne Landschaften sehr wichtig, da darf eine Strecke auch mal ‘langweilig’ sein, oder Burgen und Kirchen, Barockstädte, auch Gedenkstätten schau ich mir an.
Und Eisdielen.
Eisdielen sind überlebenswichtig.
Hahahah! Stimmt! Eisdielen sind extrem wichtig. Ich kenne beispielsweise einen wirklich guten Eisdealer, an dem kommt keiner vorbei. Also falls sich mal jemand von Euch nach Bautzen verirrt …. unbedingt den Eisdealer (ja, der heißt wirklich so!) besuchen!
…Ich werde beim nächsten Besuch mal ein kleines Special darüber machen. 🙂 Nur um Euch zu ärgern. 😉